Lehrberufe, also die duale berufliche Ausbildung mit EFZ, EBA und Co., sind in der Schweiz schon lange mehr als nur „die Alternative zum Gymi“. 2023 war ein spannendes Jahr für die Berufsbildung: neue Trends, alte Herausforderungen, überraschende Entwicklungen. Hier ein Überblick, was sich getan hat.
Der Stand der Dinge: Zahlen & Fakten
Im Jahr 2023 waren insgesamt rund 281’600 Lernende in einer beruflichen Grundbildung unterwegs. Etwa 75’800 starteten ihre Lehre, rund 65’700 schlossen erfolgreich ab. Damit bleibt die duale Berufsbildung das Rückgrat des Schweizer Bildungssystems.
Bis Ende Mai 2023 wurden schweizweit etwa 51’400 Lehrverträge abgeschlossen – das sind rund 69 % des Vorjahreswerts. Gleichzeitig waren über 20’000 Lehrstellen noch unbesetzt. Kurz gesagt: Lehrstellen gibt’s viele, aber nicht immer finden sich passende Lernende.
Branchenmässig dominieren nach wie vor das Gesundheits- und Sozialwesen, das Handelsgewerbe und das Baugewerbe. Rund 86 % aller Ausbildungen führen zu einem EFZ, nur etwa 7 % zu einem EBA-Abschluss.
Insgesamt zeigt sich: Die Schweizer Lehrbetriebe bleiben stabil, doch die Balance zwischen Angebot und Nachfrage ist, je nach Region und Beruf, weiterhin eine kleine Herausforderung.
Digitalisierung, Nachhaltigkeit & neue Berufsbilder
Ein klarer Trend 2023: Digitalisierung. Die Zahl der ICT-Lehrstellen wuchs um rund 5 % auf über 11’000 Ausbildungsverhältnisse. Besonders beliebt sind Informatiker/in EFZ, Mediamatiker/in EFZ und der neue Beruf „Entwickler/in digitales Business EFZ“.
Parallel dazu gewinnen grüne Berufe an Bedeutung. Lehrstellen im Bereich Solartechnik, Energie und Umwelttechnik sind im Kommen – oft mit modernisierten Lehrplänen und stärkerem Fokus auf nachhaltige Technologien.
Diese Entwicklung passt zum gesellschaftlichen Wandel: Junge Menschen wollen Jobs mit Sinn, und Betriebe, die ökologische Verantwortung zeigen, punkten bei der Nachwuchssuche.
Zwischen Fachkräftemangel und Berufswahlstress
Ein Dauerbrenner bleibt der Fachkräftemangel. Viele Unternehmen, vor allem kleinere Betriebe, finden schlicht keine passenden Lernenden. Besonders betroffen: Berufe im Bau, in der Pflege und in handwerklichen Bereichen.
Gleichzeitig gibt es Jugendliche, die trotz unbesetzter Stellen keine Lehrstelle finden – oft, weil ihre schulischen Leistungen nicht ganz passen oder sie sich auf wenige „Trendberufe“ konzentrieren. Das Ergebnis: ein klassisches Mismatch zwischen Angebot und Nachfrage.
Dazu kommt, dass grosse Betriebe ihre Lehrstellen tendenziell ausbauen, während kleinere Unternehmen zurückhaltender werden. Hier wird deutlich, wie wichtig es ist, die Berufsbildung auch in KMU attraktiv und machbar zu halten.
Berufsmaturität & Durchlässigkeit bleiben wichtig
Ein Pluspunkt im Schweizer System bleibt die Durchlässigkeit. Die Kombination von Lehre und Berufsmaturität (BM) bleibt beliebt, sie öffnet Wege an Fachhochschulen oder in die höhere Berufsbildung.
Allerdings zeigen die Zahlen, dass 2023 etwas weniger Betriebe BM-Kandidaten aufnehmen als in Spitzenjahren. Vermutlich wegen Arbeitsdruck, Fachkräftemangel oder schlicht fehlender Zeit für die Doppelbelastung. Trotzdem bleibt das Modell eines der wichtigsten Merkmale der Schweizer Berufsbildung.
Regionale Unterschiede
In der Deutschschweiz werden Lehrverträge meist früher abgeschlossen als in der Romandie oder im Tessin. Auch die Berufswahl unterscheidet sich: Während im Westen Berufe im Gesundheits- und Sozialbereich stark gefragt sind, punkten in der Deutschschweiz technische und handwerkliche Richtungen.
Diese Unterschiede sind nicht neu, aber sie zeigen, dass Berufsbildung in der Schweiz immer auch regional geprägt ist und dass es keine „Einheitslösung“ gibt.
Was lernen wir daraus?
2023 bestätigt, was sich schon länger abzeichnet:
- Die Berufsbildung bleibt robust, aber sie steht unter Druck.
- Digitalisierung, Nachhaltigkeit und flexible Lernmodelle verändern die Landschaft.
- Jugendliche haben viele Optionen, müssen aber früh und gezielt informiert werden.
- Betriebe müssen attraktiver werden, um gute Lernende zu gewinnen.
Das Schweizer Modell funktioniert, weil es praxisnah, flexibel und zukunftsorientiert ist. Aber es muss weiterentwickelt werden, mit mehr digitalem Know-how, mehr grünen Kompetenzen und stärkerer Unterstützung für Ausbildner*innen.
Fazit
2023 war kein radikaler Umbruch, aber ein Jahr, in dem sich vieles verfestigt hat:
ICT-Berufe boomen, Pflege bleibt zentral, und neue Berufsbilder entstehen dort, wo Digitalisierung und Nachhaltigkeit sich treffen.
Gleichzeitig kämpfen viele Branchen weiter mit der Besetzung ihrer Lehrstellen. Die Lösung? Bessere Berufsberatung, modernere Ausbildung, stärkere Förderung kleiner Betriebe und vielleicht ein bisschen mehr Mut, auch neue Wege in der Berufsbildung zu gehen.
Die Lehre bleibt ein Erfolgsmodell aber eines, das sich ständig neu erfinden muss.
Quellen
- Bundesamt für Statistik (BFS) – „Bildung und Wissenschaft: Berufliche Grundbildung 2023“
👉 bfs.admin.ch - Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) – Medienmitteilung „Lehrstellenmarkt stabil, viele offene Stellen“ (Mai 2023)
👉 admin.ch - Nahtstellenbarometer 2023, gfs.bern – Befragung von Jugendlichen und Betrieben zur Lehrstellensituation
👉 cockpit.gfsbern.ch - ICT-Berufsbildung Schweiz – Bericht „5 Prozent mehr ICT-Lehrverhältnisse in einem Jahr“ (2023)
👉 ict-berufsbildung.ch - Bildungsdirektion Zürich / Schulblatt – Artikel zu neuen Berufen im Bereich Nachhaltigkeit (2025)
👉 zh.ch
Foto von Andrea Piacquadio / Pexels.com
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