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Wenn das Schülerpraktikum ausfällt – Berufsorientierung in der Pandemie

Normalerweise ist das Schülerpraktikum eine Art kleiner Probelauf fürs echte Leben: zwei bis drei Wochen mal „reinschnuppern“, in einen Betrieb gehen, echte Kolleg:innen treffen, herausfinden, ob der vermeintliche Traumjob auch wirklich so glänzt, wenn man morgens um 7 Uhr in der Werkstatt steht. Kurz: ein wichtiger Schritt in der Berufsorientierung.

Doch dann kam 2020. Und mit ihm die Pandemie. Schulen geschlossen, Betriebe im Lockdown, Kontakte minimiert und Schülerpraktika? Sie wurden fast flächendeckend abgesagt. Auch 2021 war die Lage nicht viel besser: Hygienevorschriften, Unsicherheit in den Unternehmen und Unterricht im Wechselmodell sorgten dafür, dass kaum ein Betrieb bereit war, Praktikanten aufzunehmen.


Warum Schülerpraktika so wichtig sind

Für viele Jugendliche ist das Schülerpraktikum die erste echte Begegnung mit der Arbeitswelt. Im Gegensatz zu theoretischen Berufsinformationsveranstaltungen oder Hochglanzbroschüren lernen sie dort zum ersten Mal, wie sich ein Job anfühlt:

  • Authentischer Einblick: Man sieht nicht nur die „coolen“ Aufgaben, sondern erlebt auch den Alltag, den man später mittragen muss.
  • Selbstreflexion: Viele merken erst im Praktikum, ob ihnen Teamarbeit liegt, ob sie den ganzen Tag am Computer aushalten oder ob sie lieber handwerklich aktiv sind.
  • Türöffner: Praktika sind für Unternehmen eine Art „Mini-Bewerbung“. Wer überzeugt, hat später gute Karten bei der Ausbildungsplatzsuche.

Fehlt diese Erfahrung, fehlt Jugendlichen ein wichtiges Stück Orientierung, gerade in einer Lebensphase, in der ohnehin vieles im Umbruch ist.


2020/2021: Berufsorientierung im Blindflug

Ohne Schülerpraktika mussten viele Jugendliche quasi im Blindflug entscheiden, welchen Weg sie nach der Schule einschlagen wollen. Statt echter Erfahrungen gab es:

  • Digitale Alternativen: Manche Schulen und Kammern boten Online-Praktika oder virtuelle Berufsfelderkundungen an. Aber seien wir ehrlich: Ein Zoom-Meeting ersetzt keine Schicht in der Autowerkstatt oder den direkten Kundenkontakt im Einzelhandel.
  • Informationsflut: Jugendliche klickten sich durch Berufsorientierungsportale, Testverfahren oder Erklärvideos. Aber das ist Theorie – und Theorie bleibt abstrakt.
  • Weniger direkte Kontakte: Normalerweise plaudert man im Praktikum mit Azubis oder Ausbildern. Diese persönlichen Gespräche fielen weg und damit auch wertvolle Tipps aus erster Hand.

Folgen für die Jugendlichen

Die Auswirkungen ließen nicht lange auf sich warten:

  1. Unentschlossenheit
    Viele Schüler:innen wussten am Ende der Sekundarstufe I nicht, wohin die Reise gehen soll. Ohne Praxisbezug bleibt oft nur der Weg der „sicheren Entscheidung“: ein weiterführender Schulabschluss, manchmal ohne echten Plan für danach.
  2. Fehlende Motivation
    Manche Jugendliche verloren an Schwung. Praktika sind oft ein Motivationsbooster: Wer eine spannende Erfahrung im Betrieb macht, sieht plötzlich den Sinn in Mathe oder Deutsch. Dieser Motivationskick fiel weg.
  3. Ungleichheit verstärkt
    Jugendliche mit Eltern, die viel über Berufe erzählen können oder gute Kontakte haben, waren klar im Vorteil. Wer dieses Netzwerk nicht hatte, war stärker auf Praktika angewiesen und litt besonders unter deren Ausfall.
  4. Verzögerte Berufswahl
    Viele verschoben ihre Entscheidung nach hinten, probierten nach der Schule Übergangslösungen wie FSJ, Berufsvorbereitung oder lange Bewerbungsphasen. Ausbildungsbetriebe berichteten, dass Bewerbungen später eintrafen und häufiger unpassend waren.
  5. Falsche Berufswahl
    Jugendliche trafen die falschen Entscheidungen, dieses bedeutete eine angefangene Ausbildung abzubrechen und neu zu suchen. Erste frisch geschlossene Freundschaften in Schule und mit Kollegen verliefen im Sande. Frustration und Antriebslosigkeit entstanden.

Folgen für die Unternehmen

Nicht nur die Jugendlichen litten. Auch Unternehmen spürten die Lücke:

  • Weniger Kontakt zu Nachwuchs: Betriebe, die normalerweise Praktika nutzen, um frühzeitig Talente zu entdecken, verloren diesen Kanal.
  • Weniger Bewerberqualität: Viele Jugendliche hatten kein realistisches Bild vom Beruf. Bewerbungen passten nicht oder brachen später ab, weil Erwartungen und Realität auseinanderklafften.
  • Nachwuchssorgen verschärft: Gerade im Handwerk oder in technischen Berufen fehlte der direkte Draht zur jungen Generation und damit auch der erste Funke, der Lust auf Ausbildung macht.
  • Höhere Abbrecherquote: Wegen falschen Vorstellungen brachen Jugendliche die gerade erst begonnene Ausbildung ab und orientierten sich neu, meist in einem komplett anderen Berereich. Kauffrauen begannen eine Ausbildung zur Köchin, Fachinformatiker starteten als Elektroniker im Handwerk.

Wie Schulen und Jugendliche reagierten

Natürlich blieb man nicht komplett untätig:

  • Manche Schulen setzten auf digitale Berufsmessen und virtuelle Gespräche mit Azubis.
  • Es gab Berufsorientierungsprojekte im Unterricht, z. B. Bewerbungstrainings oder digitale Planspiele.
  • Einige Jugendliche organisierten sich Privatpraktika in Ferienzeiten oder nutzten Kontakte im Bekanntenkreis, sobald Lockerungen es zuließen.

Aber all das konnte das klassische Schülerpraktikum nicht voll ersetzen. Der „Aha-Moment“, wenn man am ersten Tag in der Arbeitskleidung dasteht oder beim Kundenkontakt merkt „Das macht mir Spaß!“. Das blieb vielen verwehrt.


Rückblick mit etwas Abstand

Heute, mit ein paar Jahren Abstand, lässt sich sagen: Die Generation, die 2020 und 2021 ihre Berufsorientierung verpasst hat, musste kreativer und flexibler werden. Viele Wege verliefen kurviger, es gab mehr Umorientierungen, manche starteten in eine Ausbildung, wechselten dann aber, weil die Erwartungen nicht passten.

Langfristig könnte das auch eine positive Seite haben: Wer gelernt hat, Entscheidungen unter Unsicherheit zu treffen und flexibel zu bleiben, bringt Fähigkeiten mit, die im Arbeitsleben wertvoll sind. Aber kurzfristig war es für viele Jugendliche schlicht ein Nachteil und für Betriebe ein zusätzlicher Stein im ohnehin holprigen Weg zur Fachkräftesicherung.


Fazit

2020 und 2021 waren verlorene Jahre für das klassische Schülerpraktikum. Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig diese kleine Stufe im Übergang von Schule zu Beruf ist. Ohne sie fehlte vielen Jugendlichen Orientierung, Motivation und Selbstbewusstsein in der Berufswahl.

Die Erfahrung hat auch Schulen und Betrieben vor Augen geführt, dass Berufsorientierung vielfältiger aufgestellt werden muss: digital UND praktisch. Doch eins ist klar: Ein virtuelles Praktikum wird nie den echten Werkstattgeruch, den Kontakt zu Kolleg:innen oder den ersten selbstständig erledigten Auftrag ersetzen.

Foto von Mikhail Nilov / Pexels.com

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