Wie wenige verlorene Wochen in der 8. Klasse plötzlich ganze Karrierewege beeinflussen
Erinnerst du dich noch an die Zeit, als plötzlich alles stillstand? Schulen zu, Homeschooling, Maskenpflicht, Distanzunterricht. Viele von uns haben in dieser Phase gelernt, wie man Videokonferenzen meistert, aber auch, wie anstrengend es sein kann, den ganzen Tag auf den Bildschirm zu starren. Was damals niemand so richtig auf dem Schirm hatte: Die ausgefallenen Praktika während der Corona-Jahre holen uns jetzt ein und zwar gewaltig.
Zwei Wochen, die plötzlich fehlen
In normalen Jahren heißt es für Schüler:innen der 7. oder 8. Klasse: „Ab ins Praktikum!“ – zwei Wochen in einem Betrieb, in denen man endlich mal echte Arbeitsluft schnuppert. Man darf hinter die Kulissen schauen, erlebt Berufe hautnah und merkt, ob das, was auf dem Papier spannend klingt, auch wirklich zu einem passt.
Doch zwischen 2020 und 2022 fiel genau das für viele Jugendliche einfach weg. Kein Friseursalon, keine Autowerkstatt, kein Büro, kein Krankenhaus, keine Kita. Stattdessen gab’s Worksheets im Homeschooling und vielleicht mal ein paar virtuelle Einblicke in Berufe über YouTube. Klingt nett – ist aber kein Ersatz dafür, morgens wirklich in den Betrieb zu gehen, Kollegen kennenzulernen und zu merken, ob man sich in diesem Umfeld wohlfühlt.
Und jetzt, ein paar Jahre später, zeigt sich, wie wichtig diese Wochen eigentlich waren.
Orientierung? Fehlanzeige!
Wer 2020 in der 7. Klasse war, steht heute kurz vor dem Schulabschluss oder ist sogar schon mittendrin. Und viele wissen schlicht nicht, was sie nach der Schule machen sollen. Das ist kein Zeichen von Faulheit oder Desinteresse, sondern schlicht das Ergebnis fehlender Orientierung.
Das Schülerpraktikum war für viele der erste Kontakt mit der Arbeitswelt. Der Moment, in dem man plötzlich merkt: „Oh wow, das macht mir Spaß!“ oder auch: „Auf gar keinen Fall will ich das jeden Tag machen.“ Diese Erfahrung fehlte einer ganzen Generation.
Die Folge:
- Unsicherheit bei der Berufswahl
- Weniger Bewerbungen für Ausbildungsplätze
- Mehr Fehlentscheidungen
- Und leider: mehr Ausbildungsabbrüche
Falsche Vorstellungen – echte Konsequenzen
Viele Azubis merken erst nach ein paar Monaten, dass der Beruf, für den sie sich entschieden haben, einfach nicht zu ihnen passt. Kein Wunder, wie sollen sie es vorher wissen, wenn sie nie die Gelegenheit hatten, ihn auszuprobieren?
Statistiken zeigen: In manchen Branchen liegt die Abbruchquote in der Ausbildung inzwischen bei über 25 %. Natürlich spielen viele Faktoren eine Rolle aber die fehlenden Einblicke in der Schulzeit sind ein ganz wesentlicher davon.
Wenn man nie gesehen hat, wie es in einer Werkstatt wirklich aussieht, wie stressig der Alltag im Einzelhandel sein kann oder wie anspruchsvoll ein Pflegeberuf ist, trifft man Entscheidungen oft auf Basis von Klischees. Und die halten der Realität selten stand.
Auch Betriebe spüren die Folgen
Nicht nur Schüler:innen sind betroffen. Auch Betriebe ächzen unter der Situation. Viele Unternehmen berichten, dass Bewerbungen seltener werden und dass die jungen Leute, die kommen, oft gar nicht so genau wissen, was sie erwartet.
Früher konnten Betriebe durch Schulpraktika frühzeitig Kontakt zu potenziellen Azubis knüpfen. Man lernte sich kennen, vielleicht blieb jemand im Gedächtnis und ein Jahr später kam die Bewerbung. Dieser natürliche Übergang ist in vielen Regionen komplett weggebrochen.
Heute heißt es stattdessen: Bewerbungen aus der Ferne, wenig persönliche Kontakte, viel Unsicherheit auf beiden Seiten. Kein Wunder, dass viele Ausbildungen nicht lange halten.
Was jetzt passieren muss
Die gute Nachricht: Es ist noch nicht zu spät, gegenzusteuern. Schulen, Betriebe und auch Eltern können einiges tun, um den verlorenen Jahren entgegenzuwirken.
1. Nachholen, was geht.
Viele Schulen bieten inzwischen freiwillige oder verkürzte Praktika auch in höheren Klassen an – super Idee! Selbst ein paar Tage können helfen, Berufe besser zu verstehen.
2. Mehr Praxis im Unterricht.
Projektwochen, Kooperationen mit Betrieben, Praxistage: Alles, was Schüler:innen raus aus dem Klassenraum und rein ins echte Leben bringt, hilft.
3. Betriebe müssen offener werden.
Viele Firmen suchen händeringend Nachwuchs. Warum also nicht mal einen „Schnuppertag“ oder Ferienjob anbieten? Selbst ein Tag kann aus einem unentschlossenen Schüler einen motivierten Azubi machen.
4. Eltern: Redet mit euren Kids!
Nicht jeder 15-Jährige weiß sofort, was er will. Aber Eltern können helfen, indem sie neugierig bleiben, gemeinsam Berufsmessen besuchen oder Kontakte nutzen.
Generation Corona – auf der Suche nach Richtung
Es ist leicht, die „Corona-Generation“ als verloren zu bezeichnen. Aber das stimmt nicht. Diese Jugendlichen haben unfassbar viel gelernt, nur eben auf andere Weise. Sie mussten flexibel, digital und eigenständig werden. Nur in Sachen Praxis und Berufsorientierung hat’s gehapert.
Jetzt ist es an uns, diese Lücke zu schließen. Denn jeder Mensch verdient die Chance, herauszufinden, was wirklich zu ihm passt und das nicht durch Zufall, sondern durch Erfahrung.
Fazit
Corona hat uns mehr gekostet als nur Schulstoff und Sommerfeste. Es hat einer ganzen Generation den Zugang zur Arbeitswelt erschwert. Die fehlenden Praktika aus der 7. und 8. Klasse wirken heute wie kleine Risse, die sich langsam zu größeren Problemen ausweiten: Unsicherheit, Fehlentscheidungen, Ausbildungsabbrüche.
Aber wir können das wieder auffangen. Mit mehr Praxis, mehr Offenheit und mehr Mut, Dinge einfach auszuprobieren. Denn am Ende lernt man über Berufe nicht aus Büchern oder Videos. Man lernt nur, wenn man sie wirklich erlebt.
Linktipps:
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Foto von Mikhail Nilov / Pexels.com
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